Jede Stadt versucht sich heutzutage auf ihre besondere Art und Weise herauszuputzen. Dabei werden besonders die symbol- und geschichtsträchtigen Gebäude saniert und in einem neuen Glanz dargestellt – den sie vielleicht nie zuvor hatten, nicht einmal bei ihrer Entstehung. Dass sich auch die historischen Städte damit immer mehr ähneln ist die natürliche Folge und Ironie zugleich.
Dort wo Handelsketten die Ästhetik bestimmen, wird es meist schmucklos bis hin zur kompletten Abwesenheit von Gestaltung. Das ist auch in Braunschweig so, siehe Teile der Innenstadt – besonders am Bohlweg, der ästhetisch wohl verwahrlosesten Ladenzeile überhaupt. Das andere, oben geschilderte Extrem ist gleich gegenüber zu sehen, wo der Handel hinter dem Vorhängeschloss residiert. Innen ist es grafisch völlig uninteressant, der moderne Einheitsbrei immergleicher Schriften und Farben dominiert.
Mit dem Bemühen um eine schöne Darstellung der Hochkultur wird zugleich eine andere Kultur vernichtet, die von der eigentlichen Ästhetik des historischen Alltags zeugen könnte. In den versteckten Winkeln etlicher Häuser und in Hinterhöfen sind noch alte Laden- und Firmenbeschriftungen zu sehen, teilweise sind sie über hundert Jahre alt.
Um sie zu aufzuspüren muss man sich in die unbeachteten, meist weniger begüterten Viertel begeben oder in stadtnahe Kleingewerbezonen. Hier fehlt entweder das Geld für eine Modernisierung oder die Flächen sind für eine zeitgemäße Nutzung zu klein. Aus grafischer Sicht ist es eine Bereicherung, denn hier sind alte Fassadenbemalungen an Brandmauern oder alten Werkstätten zu finden, oft in den Schriften der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Sie zeichnen sich durch ein hohes Maß an freier Formgebung und Zierat aus, der nur in den damaligen Anzeigen oder auf Briefköpfen zu sehen war. Die Schriften sind oft filigran und mit allerlei Schnörkeln und Schwüngen versehen, sie sind verzerrt, haben Konturen und Schlagschatten. Ihr Formenreichtum ist deutlich größer als die immergleiche, heute „handelsübliche“ Arial-Helvetica-Futura mit fetten Großbuchstaben und in rotleuchtender Farbe.
In vielen Städten spüren Typografen diese Schätze auf und organisieren „Typewalks“ um Interessierten und Kollegen die schönen Schriften zu zeigen – solange es sie noch gibt jedenfalls. In Braunschweig würde es sich lohnen, solch einen typografischen Spaziergang durch die alte Handels- und Gewerbetypografie zu initiieren. Auch für Fotografen ist dieser Gang übrigens spannend, weil sich besonders auf den Hinterhöfen noch viele andere verborgene und vergessene Schätze aufspüren lassen.

Kleiner Schriftenkatalog an einer Brandmauer. Typisch für alte Bemalungen ist, dass nach Jahrzehnten übermalte Schriftzüge wieder zum vorschein kommen. So entstehen eigentümliche Überlagerungen von Schriften und Gewerben. Sehr schön sind die Umlautzeichen im Ö.

Wundervolle Schriftmischung am Frankfurter Platz. Witzig und typografisch unsinng sind der Schwung am U und der Punkt über über dem Großbuchstaben-I.

Das Lob der untadeligen sauberen Frau, ganz im Stil der Fünfziger Jahre. Das Schleifchen ist neckisch und lockert die formale Strenge.
Hach, da kommt man ins Schwärmen. Danke Dir für das ins-Licht-rücken. Es ist schade, dass diese schönen alten Schriften meist ein Schattendasein führen (müssen).
Liebe Grüße aus Südbrandenburg
Anja
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Hallo Andreas,
das wird auch sehr ausführlich in diesem schönen Bildband gewürdigt:
http://www.braunschweigvonhinten.de/
Schöne Grüße
Jan
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Tja, das hätte ich wirklich gerne gesehen, zumal ich hier in der Foto-AG der Volkshochschule fotografiere.
Nur kommen sowohl am Mac als auch auf Windows keine Bilder? Lässt sich das ändern?
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